zehn – Kreatiefer Beton

#Wolkenbilder #Schneeflocke #Aufbruchstimmung

Antonio starrte. Er starrte und stummte und dachte an nichts. „Nichts“, flüsterte er. „Immer nur nichts. Wo ist alles bloß hin?“

Die weiße Fläche vor ihm, nur handbreit entfernt, frei von jedem Pinselstrich, diese weiße Fläche schrie ihn an. „Alles! Gib mir alles, gib es mir bunt, gib es mir jetzt!“, rief sie.

Es war laut in seinem Kopf.

Er musste die Augen schließen und versinken. Alles… alles nur nicht weiß.

Antonio steckte tief. Tief, tiefer, am kreatiefsten.

Er wusste nicht wie lange er da schon stand und steckte und sank. Eine Ewigkeit, vielleicht nur ein paar Minuten, vermutlich aber waren es Tage. Es war ihm egal. Er betonierte tiefer und abgrundtiefer. In dieser Leere. In diesem Weiß. Nichts war da – im Überfluss. Alles taub, viel zu laut. Wie konnte nichts nur so lärmen?

Er hörte den Schlüssel nicht, der seine Haustür aufschloss, und darum erschrak er, als Marie fragte: „Antonio? Was tust du da?“

„Nichts“, flüsterte er.

„Das ist aber schön geworden“, sagte Marie. „Sind das Wolken? Ich liebe es, wenn du Wolkenbilder malst.“

„Wolken?“

„Ja, wenn ich ganz nah ran gehe, ganz nah.“ Sie kam der weißen Fläche näher, kniff die Augen zu Schlitzen, ihre Nasenspitze berührte fast die Leinwand. „Ganz nah“, wiederholte sie, als wäre es der Refrain ihres Lieblingsliedes. „Wenn ich ganz nah ran gehe, dann…“

„Was dann?“

„Dann seh ich die Schneeflocken in den Wolken tanzen.“ Sie befreite ihre Augen aus den Schlitzen und wich einen Schritt zurück, es sah aus als würde sie tanzen, als wolle sie dieses Nichts, das für sie Alles war, in Gänze bestaunen.

Antonio wusste nicht, wie ihm geschah. Er ahnte es nichtmal.

„Wunderschön. Ich habe so etwas Wunderschönes noch nie vorher gesehen. So poetisch, Antonio. Du bist ein Künstler.“

Marie strahlte. Sie umarmte ihn. Antonio schloss die Augen. Ein Versuch ganz genau zu spüren und vielleicht zu ahnen, was Marie in diesem Nichts erkennen konnte. Er legte seinen Pinsel beiseite.

„Ich mach uns mal Kaffee“, sagte er.

„Nicht nötig“, sagte sie. „Ich merke schon, du bist im Flow. Ich werde dich nicht länger stören.“

„Kommst du morgen wieder?“, fragte er. Es war nicht nur eine Frage, sondern ein Herzenswunsch.

„Aber sicher.“ Sie lächelte ihr Aufbruchstimmungs-Lächeln und zog die Tür hinter sich zu.

Antonio starrte. Antonio starrte und stummte und dachte an Marie. Dann nahm er seinen Pinsel, und es war ganz leicht.

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