#Boxbude #Lohnsteuerausgleich #Gespensterschloss

Seltsame Vorfälle zwei

DreiWorte von Lars Wege: #Boxbude #Lohnsteuerausgleich #Gespensterschloss

Klara stellt die Musik aus und kocht eine frische Kanne Kaffee. Für sich und nur für sich. Sie ist allein. Um es vorab und ohne Umweg auf den Punkt zu bringen, Klara fühlt sich heute besonders traurig und, was noch viel schlimmer wiegt, ihr ist langweilig, abgrundtief langweilig. Eine gefährliche Kombination für eine alte Frau, die sich schon immer gern Gedanken gemacht hat.

Klara seufzt und schimpft. Sie ist eine wütende alte Frau geworden, die zum ersten Mal mit ihrer Vergangenheit kämpft. Ja, sie ist sich der Boxbude des Lebens schon immer sehr bewusst gewesen und sie hat das verschwitzte Kämpfen genossen. Jedes Alter hat ihre Herausforderung, ihren Gegner, jedes Alter hatte eine erste Runde. Klara war immer mutig in den Ring zu steigen.
Erster Schritt, erster Sturz, erster Pickel, erste Liebe, erster Herzschmerz, erster Kuss, erster Klammerblues, erster Sex, erstes Auto, erste Wohnung, erster Filmriss, erster Lohnsteuerausgleich, erste Knie-OP, erster Rentenbescheid.
Die letzte Runde lag immer in weiter Ferne.

Erst heute ist ihr klar geworden, dass sie bisher zwar alle Runden mehr oder weniger unbeschadet gewonnen hat, aber damit auch als einzige übrig geblieben ist.
»Klara, du hattest keine Ahnung vom Älter werden, du hast nicht an alles gedacht. Du hast gekämpft, aber nicht daran gedacht, dass du die letzte sein könntest«, sagt sie und schaut in das gewölbte Spiegelbild-Ich ihrer Thermoskanne. Schwarz, weiß, grau, keine Spur von lila.

Seltsam, ich bin noch da, aber nichts von mir ist übrig geblieben, denkt Klara und der Kloß im Hals wird bedrohlich.

Niemand sieht Klara. Sie war zu einem Gespenst geworden, grau und durchsichtig. Ihre Wohnung gehörte zu den Lost-Places der Stadt. Ein Gespensterschloss.
Klara sieht zurück zu ihrem Thermoskannen-Spiegelbild. »Mehr Gespenst als Schloss«, flüstert sie.

Sie versteht jetzt, was es bedeutet älter zu werden, älter zu sein, die Älteste zu sein. Sie sagte immer, als sie noch jünger war, nein, als sie noch jung war, dass sie, wenn sie mal älter war, dass sie dann aktiv bleiben möchte, sie wolle ihren Körper und ihren Geist fit halten, raus gehen, Menschen treffen, Gespräche führen, VHS Kurse besuchen, das Leben genießen, nie aufhören Dinge zum ersten Mal zu tun und tanzen. Ja, sie wollte tanzen, viele Runden tanzen. Klammerblues und Rock ’n’ Roll.
Und wenn das nicht möglich ist, warum auch immer, dann wollte sie wenigstens so leben wie in dem Gedicht »Warnung« von Jenny Josephs. Sie wollte lila tragen, laut sein und sie wollte, dass es alle sehen. Wenn sie mal alt war.

Jetzt ist sie unsichtbar. Klara will nicht unsichtbar sein, sie will nicht wütend sein, sie will sich nicht langweilen.
Sie ist zu jung, um traurig zu sein.

Klara beginnt zu kämpfen. Sie steigt in den Ring für eine nächste erste Runde in der Boxbude des Lebens und macht erstmal die Musik wieder an.

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