Bierbegleitende Speisen Kichererbsen Lachtabletten

Gedankenbrausen – zwei

DreiWorte von Lars Wege: #bierbegleitende Speisen #Kichererbsen #Lachtabletten

Ihre Mittagspause begann viel zu früh an diesem Tag. Wie einfach alles viel zu früh passierte, an diesem Tag. Wenn es einmal anfängt, viel zu früh zu sein, setzt sich das fort, bis es irgendwann zu spät ist. So ist das.
Sie war froh um jede Pause, die sie von ihrem Job machen konnte. Lächeln aus. Endlich. Sie brauchte diese Pause. Sie brauchte diese Pause viel zu früh.

Sie hatte die Wahl zwischen einem Bäcker um die Ecke oder der kleinen Kneipe schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite. Beim Bäcker war sie bereits heut früh für einen Kaffee, wenig lecker. Aber er tat was er sollte und ließ sie die bittere Pille für den Tag schlucken.
Jetzt hatte sie aber Pause. Und weil es so früh war, blieb ihr nur die Kneipe. Die hatte irgendwie immer geöffnet, glaubte sie. Zumindest sah sie nie geschlossen oder verriegelt aus, egal wann sie daran vorbeiging. Egal ob früh, spät oder mitten in der Nacht. Man sah niemals jemanden hineingehen und schon gar nicht herauskommen. Vielleicht lag es daran, dass niemand diese Kneipe wirklich beachtete, wenn ein Tag nicht viel zu früh oder viel zu spät oder anderweitig unpassend passierte. Kurz bereute sie, dass sie sich nicht die Reste vom letzten Abendessen für ihre Mittagspause eingepackt hatte. Kichererbsensalat, Rote Bete und Knoblauchbrot.

Nun, ihre unbefriedigte Gesamtsituation forderte nach etwas Extravaganz. 10 Uhr 21 – das brüllte ja quasi nach bierbegleitenden Speisen.

Ohne weiter darüber nachzudenken, zog sie die schraddelige Holztür auf und verhedderte sich im dahinterhängendem Brokat. Ein Windfangvorhang der ihr entgegen wehte, als würde er die Flucht ergreifen wollen. Vermutlich ein Relikt aus den frühen 70er Jahren. Er roch auch so. Vielleicht versuchte er nicht zu flüchten, denn irgendwie schien er genau dahin zu gehören. Vielleicht sehnte er sich danach, den Wind zu fangen.

Sie fühlte sich plötzlich emotional berührt von diesem Vorhang, auf eine pathologische Art mit ihm verbunden. Ja, es war zu früh. Es war einfach und ehrlich viel zu früh. Für alles. Da kann es halt passieren, dass sich die aufgestaute, ungebrauchte Emotion wahllos über das nächstbeste Objekt ergoss.

Drinnen erwartete sie all das, was sie sich vorgestellt hatte, als der Vorhang sie auf diese ungezogene Art berührte. Dunkle Holztische, Eckbänke mit löchrigem Stoff bezogen, ein Tresen, Zapfhähne, Wimpel, Trockenblumen, Kupfer, Gusseisen, alles überzogen mit einem Licht aus Braunorange.

Am Tresen saß eine Person. Er glotzte in sein Bier, halbleer. Er pulte an diesem Papierdings, das um den Stiel des Bierglases gefädelt war.
Ob sein Tag auch zu früh passierte?

Sie setzte sich an die andere Seite des Tresens. Der Mann schaute hoch, ihr direkt in die Augen, sein Blick funkelte in blaugrün.
Und da lächelte er auch schon, als wäre es das leichteste von der Welt und genau rechtzeitig. Weder zu früh noch zu spät. Genau richtig. Es passierte jetzt, weil er es so wollte.

Sie schaute weg, denn diese Überraschung hatte sie nicht kommen sehen. Wie konnte sie auch, an einem Tag an dem alles so früh passierte? Ein Lachen, nicht künstlich oder studiert. Ein pures Lächeln – für sie. Wer rechnet denn mit sowas? Das war sie nicht gewohnt. Schon lange nicht mehr.

Ihr Alltag bestand aus Künstlichkeit mit hochgeschobenen Mundwinkeln. Eine tägliche Überanstrengung für die es kein Rezept, keine Kur und keine Medizin, keine Spritzen, keine Infusionen, weder Lachtabletten noch Lächeltropfen gab. Manchmal gab es ein Pflaster, frühe Pausen, weil es anders sonst nicht zu ertragen wäre. Sie schaute zum Vorhang und sehnte sich nach seiner Umarmung.

Vielleicht wurde sie ein wenig rot, als sie sich endlich wieder traute zu ihm zu sehen. Sie hoffte plötzlich auf etwas, das hatte sie lange nicht getan.
Er allerdings blickte wieder in sein Bier und pulte am Papierdings, als wäre nichts zwischen den beiden gewesen.
Das war überraschend ok für sie. Trotzdem gab sie die Hoffnung auf irgendwas noch nicht auf, wo sie sie gerade erst wiedergefunden hatte.

Eine quietschende Tür neben dem Tresen unterbrach ihre Faszination für ihren Zustand. Ein älterer Herr trocknete sich die Finger an einem Geschirrtuch ab und warf es sich dann über die Schulter. Da blieb das Tuch liegen, als würde es das schon immer so machen.

»Na mein Mädchen, ist dein Tag heut zu früh oder zu spät passiert?«, fragte er mit einer ulkigen Selbstverständlichkeit, mit einer Sanftheit, die sie lange vermisst hatte, mit einer Geduld, die ihr gut tun würde. Das fühlte sie.
Und ohne zu wissen, wie ihr geschah, lächelte sie. Pur und ehrlich für mehr als nur einen Augenblick.
Sie lächelte und fühlte sich von einem gedankenbrausenden Entschluss angefasst und festgehalten: Ihre Pause sollte nicht enden. Nie wieder.

Und sie endete nicht.

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